In einer größeren Gruppe mit ganz unterschiedlichen Prioritäten der Mitglieder über gemeinsames Geld zur Zufriedenheit aller zu entscheiden kann kompliziert, langwierig und aufreibend sein. Hier kommt ein praxisbewährter Vorschlag, wie eine solche Budgetverteilung mit einer klaren Struktur schnell, gerecht und transparent getroffen werden kann.
Voraussetzungen:
- Es ist gemeinsames Geld vorhanden, das für Gruppenzwecke ausgegeben werden soll
- Die Entscheidungsfindung soll so basisdemokratisch wie möglich getroffen werden
- Es gibt eine zeitnahe Kommunikationsmöglichkeit (Versammlung, Chat, Mail )
- Es gibt von engagierten Mitgliedern mehrere Projektvorschläge mit der Bereitschaft, sie in einer Foculizer*-Rolle (siehe Anmerkung) danach auch verantwortlich umzusetzen
Vorbereitung:
Schritt 1: Zunächst wird geklärt, welche Summe zur Verteilung bereitsteht. Gemeinsam bereits eingegangene Verpflichtungen werden abgezogen, eine Reserve berücksichtigt, beides verbleibt als Rücklage auf dem Konto. Der verbleibende Betrag wird durch die Anzahl der stimmberechtigten Mitglieder geteilt, so entsteht der Bruchteil der Gesamtsumme, den jedes Mitglied im folgenden Prozess nach seinen ganz persönlichen Prioritäten auf die angebotenen Projekte verteilen darf.
Die konkrete Entscheidungsfindung besteht aus 2 Phasen, die durch klare Deadlines (z. B. nach je einer Woche) verbindlich abgeschlossen werden:
Phase 1: Projekt-Vorschlagsphase. Alle Mitglieder können Projekte vorschlagen, sofern sie die folgenden 3 Bedingungen erfüllen: a) Sie haben eine Idee, b) einen Plan zur Durchführung UND c) die Bereitschaft, für die Umsetzung der verantwortliche Ansprechpartner (=Foculizer*) zu sein. Der Vorschlagende verfaßt dann eine attraktive Projektbeschreibung, um bei der Geldverteilung möglichst viele Mitglieder für sein Projekt zu begeistern.
Die mit A,B,C… gekennzeichneten Projektvorschläge werden bis zum Ablauf von Deadline 1 allen Mitgliedern über das Kommunikationsmedium präsentiert. Auf Wunsch kann bis zur Deadline auch diskutiert werden oder Rückfragen an die Projektverantwortlichen gestellt werden, nötig ist das aber nicht.
Phase 2: Die Finanz-Vergabephase: Alle Mitglieder entscheiden sich, welche der vorgeschlagenen Projekt sie persönlich wichtig und fördernswert finden und welche weniger und teilen ihren eigenen Mitgliedsanteil zu verschiedenen Prozenten entsprechend auf. Beispiel: Projekt A bekommt von mir nichts, B 50%, C 20% und D und E je 15%. (Die Summe muß immer 100% sein). Jeder sendet bis zur Deadline 2 etwas ähnliches wie “A 0, B 50, C 20, D 15, E 15” an den/die Auswerter:in.
Auswertung und Budgetentscheidung
Nach Ablauf der Deadline 2 werden die Zuteilungen aller Teilnehmer in eine Excelliste* übertragen, die das Endergebnis ausrechnet.
- die jeweiligen Budgetanteile werden mithilfe der Prozentangaben der Mitglieder ausgerechnet, und alle für jedes Projekt vergebenen Anteile summiert – das Projektbudget ist damit klar.
- Die Anteile derjenigen Mitglieder, die sich nicht beteiligt haben, werden nach den 3 meistgevoteten Projekten zu 50/30/20 verteilt.
- Projekte, die unter eine festgelegte Mindeststimmenanzahl fallen, liegen wohl nicht genug im Gemeinschaftsinteresse und werden nicht berücksichtigt, das Geld bleibt auf dem Konto.
- Die gevotete Projektsumme ist damit verbindlich und gerecht zugeteilt und steht dem/der Projektfoculizer/in zur Verfügung. Er/sie kann das Geld treuhändisch direkt entgegennehmen (oder das gemeinsame Konto in der entsprechenden Höhe belasten), das Projekt sofort starten und wird danach die Verwendung gegenüber der Gesamtgruppe transparent belegen.
Dieses Vorgehen hat viele Vorteile
- es gibt immer für jedes Projekt einen klaren Verantwortlichen, als Ansprechpartner/in, Koordinator/in bei der Durchführung und späterer Abrechnung. Keine Chance für das altbekannte “jemand sollte doch unbedingt mal… “
- eine Diskussion im Zeitfenster ist möglich, aber nicht notwendig
- Der Willen der Gesamtgruppe wird differenziert sichtbar, es setzt sich nicht einfach der Eloquenteste oder Einflussreichste durch.
- Die Entscheidung ist fest terminiert, so daß die engagierten Projektfoculizer direkt nach der Abstimmung loslegen können
- Der Abstimmungsaufwand ist so gering, daß sich viele beteiligen können, aber sich niemand beteiligen muß – seine/ihre Anteile folgen dann einfach den Prioritäten der Mehrheit.
- Alles ist vollständig transparent, jeder kann seine Einschätzung einbringen, niemand kann sich beschweren, daß seine Bedürfnisse ignoriert wurden.
- Der größte Vorteil ist, daß engagierte Mitglieder mit einem konkreten Mandat und Budget eigenverantwortlich los legen können.
* Anmerkungen:
- Ein Foculizer ist eine vielfach bewährte Rollen-Erfindung der ehrwürdigen Findhorn-Gemeinschaft. Der Begriff meint eine Person, die den “Fokus” auf eine Aufgabe verantwortlich hält. Das bedeutet weder, daß sie alle Arbeit selbst machen muß, noch, daß sie alles allein entscheidet. Bei ihr laufen aber die Fäden im Netzwerk der Gruppe zu diesem Thema zusammen, sie ist der Ansprechpartner für Rückfragen, für den aktuellen (Termin-) Überblick, für alle Koordinationsfragen des Umsetzungsteams, und ist dafür verantwortlich, daß der Projektverlauf gut vorangeht. Die Rolle kann bei Bedarf auch nach einiger Zeit weitergegeben werden. Ein Foculizer ist aber zu jesem Zeitpunkt der Gesamtgruppe als Projektansprechpartner/in bekannt.
- die praktische Excelliste, die die Anteilsberechnung automatisiert, stelle ich gern zur Verfügung, wir haben sie in unserer Portugal-Gemeinschaft bereits erfolgreich praktisch angewendet.
Martin Garms, 22.12.24